Der Wirkstoff steigert das Sättigungsgefühl
Laut Ema handelt es sich bei dem Wirkstoff Semaglutid um einen sogenannten GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Es wirkt auf die gleiche Weise wie das Darmhormon GLP1: Es erhöht die Insulinmenge, die die Bauchspeicheldrüse als Reaktion auf die Nahrungsaufnahme ausschüttet. Und dies wiederum hilft, den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Eine weitere Wirkung der Substanz besteht darin, dass sie das Sättigungsgefühl steigert und so den Kalorienverbrauch, das Hungergefühl und die Lust auf Essen reduziert. Dies liegt daran, dass das Medikament bestimmte neuronale Schaltkreise im Gehirn aktiviert, die für die Regulierung des Hungers verantwortlich sind, sagt Dr. Timo Müller vom Institut für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München. Dort untersucht er die pharmakologische Entwicklung solcher Therapien.
Ozempic ist eigentlich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes konzipiert.Billedret: IMAGO/Remko de Waal
Pharmaforscher Müller erklärt, dass es sich bei Ozempic und Wegovy um den gleichen Wirkstoff handele. Handelsnamen sind unterschiedlich, weil die Dosierung unterschiedlich ist. Denn als Diabetes-Arzneimittel enthält Ozempic eine geringe Menge des Wirkstoffs, der auf die Bauchspeicheldrüse zur Verbesserung des Zuckerstoffwechsels wirkt, aber noch nicht ausreicht, um am Rezeptor im Gehirn zu wirken. Es sei für den Abnehmeffekt notwendig, sagt Müller. Um diesen Effekt zu erzielen, sind ca. doppelte Dosis des Wirkstoffs im Vergleich zur Dosis, die zur Behandlung von Diabetes erforderlich ist.
Einmal eine Spritze, immer eine Spritze?
Einfach ein paar Wochen spritzen und Fettleibigkeit wird geheilt, das klingt zu verlockend. Reicht das? Zu dieser Frage weist Forscher Müller darauf hin, dass es sich eher um eine lebenslange Therapie handelt, wenn man nur auf Injektionen setzt. Bei der Langzeitbehandlung von Nagetieren zeigte sich, dass die Tiere nach der Tötung relativ schnell an Gewicht zunahmen. „Das Gleiche hat sich auch in klinischen Studien gezeigt“, sagt Müller. „Auch dort verlieren die Patienten in den ersten eineinhalb Jahren kontinuierlich an Gewicht. Und wenn die Behandlung beendet wird, nehmen sie allmählich wieder zu.
Die meisten Menschen nehmen ohne Injektionen zu.Bildrechte: ZENTRALER DEUTSCHER RUNDFUNK
Dies bestätigt Professor Jens Aberle, Ärztlicher Direktor des Adipositaszentrums und Diabetes- und Endokrinologiespezialist am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sowie Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft. Studien haben gezeigt, dass Patienten ihr Gewicht halten, solange sie das Medikament einnehmen. „Aber wenn man damit aufhört – und die Daten wurden auch veröffentlicht – wird man eine durchschnittliche Gewichtszunahme feststellen.“ Aberle fügt hinzu, dass es immer wieder Patienten gibt, die ihr Leben durch eine Gewichtsabnahme so nachhaltig verändern, dass es ihnen gelingt, das reduzierte Gewicht ohne das Medikament zu halten. Und das ist natürlich das Ziel. Daher muss die Schlankheitsspritze im Behandlungsalltag durch eine Verhaltenstherapie begleitet werden.
Anja Hilbert, Professorin für Verhaltensmedizin und Psychologin, Leiterin der Adipositas-Behandlungsklinik am Universitätsklinikum Leipzig, stimmt zu, dass es ohne begleitende Therapie nicht geht. Er erklärt, dass Patienten in der Therapie lernen, ihre Ernährung zu beobachten, zu bewerten und ihre Essgewohnheiten zu ändern. „Zum Beispiel die Umstellung der Mahlzeiten, eine moderate Kalorienreduzierung oder die Einbeziehung von Bewegung in den Alltag und so weiter.“ Auch in der postoperativen Versorgung sei es wichtig, sagt Hilbert. „Das bedeutet Verhaltenstherapie vorher, während und ggf. danach.“
Hoffnung auf „hoffnungslose Fälle“
Der Wirkstoff Semaglutid spielt im klinischen Alltag bereits eine wichtige Rolle, berichtet Aberle. Laut Zertifikat ist das Medikament für Menschen mit einem BMI über 30 oder über 27 mit Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck geeignet. Allerdings mussten schon früher konservative Therapiemaßnahmen ergriffen werden: Ernährungsberatung, Bewegung und wieder Verhaltenstherapie. Doch tatsächlich ist die Nachfrage nach Medikamenten groß, weil sie auch sehr wirksam sind und vor allem „auch vielen Menschen helfen können, die bisher nicht abnehmen konnten“, sagt Aberle.
Bei der Nutzen-Risiko-Analyse schlägt das Pendel eindeutig zugunsten des Nutzens aus.
Aber auch Nebenwirkungen sind dem Arzt bekannt. Bei adipösen Menschen seien sie jedoch beherrschbar: „Fast alle Patienten verspüren anfangs eine gewisse Übelkeit.“ Anschließend die Dosis langsam steigern. „Aber das ist eigentlich der Grund, warum nur sehr wenige Patienten in Behandlung landen“, sagt Aberle. Es besteht auch die Gefahr von Gallensteinen. Bisher waren jedoch nennenswerte Nebenwirkungen selten.
Nicht alle übergewichtigen Menschen sind dick.Bildrechte: Colourbox.de
Allerdings: Bislang übernimmt die Krankenkasse die Kosten für Schlankheitsspritzen auch bei adipösen Patienten noch nicht. Denn der Gesetzgeber hat Schlankheitsmittel bislang von der Förderung ausgeschlossen. Doch da Fettleibigkeit seit 2020 vom Deutschen Bundestag offiziell als Krankheit anerkannt sei, gebe es einen gewissen Widerspruch, konstatiert Aberle. Dies wird sich voraussichtlich in Zukunft ändern.
Spritze statt Magen-OP?
Aktuelle Medikamente haben in Studien gezeigt, dass sie das Gewicht innerhalb weniger Wochen um bis zu 15 Prozent reduzieren können. Eine neue Generation von Zwillings-Schlankheitsspritzen kann nach 70-wöchiger Behandlung eine Gewichtsabnahme von bis zu 25 Prozent erreichen, glaubt Medizinforscher Müller. In den USA befindet sich die erste neue Spritzengeneration bereits in der Zulassung. Müller geht davon aus, dass sie in naher Zukunft auch in Deutschland zugelassen werden.
Auch „Lebensstiländerungen“, wie zum Beispiel mehr Bewegung, müssen Teil der Therapie sein.Bildrechte: Colourbox.de
In diesem Fall kann die Magenoperation, die bisher im Extremfall die Therapie der Wahl war, für viele Patienten überflüssig werden. Denn mit dem Verlust von einem Viertel des Körpergewichts komme man der Wirksamkeit der Operation schon sehr nahe, erklärt Kliniker Aberle. „Es wird zunächst eine ganze Gruppe von Patienten von einer Operation abhalten, sofern das Medikament irgendwann subventioniert wird“, sagt er. Dennoch gibt es individuelle Unterschiede. „Operationen sind eine äußerst wünschenswerte dauerhafte Lösung, die zu einer Gewichtsabnahme führt, ohne dass tägliche oder wöchentliche Medikamente erforderlich sind“, sagte Aberle. Bei manchen Betroffenen ist aber sicher keine Operation mehr nötig.
Bei leichtem Übergewicht: möglich, aber wahrscheinlich sinnlos
Angesichts zahlreicher Videos in sozialen Netzwerken, in denen Menschen, die definitiv nicht übergewichtig sind, ihre Abnehmerfolge teilen, stellt sich natürlich die Frage, ob die Schlankheitsspritze auch bei Menschen funktioniert, die nicht übergewichtig sind. Es wird also auch bei nicht fettleibigen Menschen funktionieren – sagt Dr. WOCHE Aberle. „Die Frage ist nur, ob es Sinn macht.“ Auch bei Menschen mit einem BMI unter 27 ist ein Rückgang zu verzeichnen, allerdings nicht so stark. Aber grundsätzlich funktioniert es.
Aber vielleicht funktioniert es nur bedingt, sagt Pharmaforscher Timo Müller. Denn in Mäusestudien lässt sich durchaus zeigen, dass der Gewichtsverlust umso größer ist, je mehr Körperfett die Nagetiere haben. Umgekehrt gilt: Je weniger Körperfett das Tier hat, desto geringer ist der Gewichtsverlust. Normalgewichtigen Tieren passiert fast nichts. „Die Wirkung auf den Blutzucker funktioniert eigentlich nur bei Erkrankungen mit erhöhtem Blutzucker“, sagt Müller.
Im Gegensatz zu vielen anderen Medikamenten in der Adipositas-Geschichte ist dies ein relativ sicheres Medikament, da es einfach nicht mehr wirkt, wenn Sie es nicht mehr benötigen.
Dennoch erwartet Professor Hilbert aus Leipzig, dass die Schlankheitsspritze zum Lifestyle-Medikament wird. „Denn natürlich sehen viele Leute: Ja, es gibt diese Medikamente und ich muss mich nicht sehr anstrengen.“ Der Preis und die Tatsache, dass es von einem Arzt verschrieben werden muss, könnten Sie abschrecken. Aber es wird immer noch Menschen geben, die Erfolg haben werden. „Ich sehe es immer ein bisschen wie Trends bei Fettabsaugung oder plastischer Chirurgie“, sagt Hilbert. „Ich glaube nicht, dass es auf Dauer verhindert werden kann.“
Die Spritze ist nur für Menschen mit viel zu viel Gewicht.Rechnungssteller: IMAGO / Panthermedia
Es gibt jedoch eine Gruppe, für die diese Injektionen möglicherweise noch einen medizinischen Wert haben: Sie können vor allem Menschen mit Prädiabetes dabei helfen, die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes zu verhindern. „Jede Art von Gewichtsverlust verbessert oder verringert das Risiko, dass sich Prädiabetes zu Diabetes entwickelt“, sagt Dr. Aberle. Liegt der Rückgang dann bei etwa 20 Prozent oder mehr, wirkt sich das äußerst positiv aus. Das bestätigt auch Timo Müller: Da die Stoffe auch eine entzündungshemmende Wirkung in der Bauchspeicheldrüse haben, können sie auch in der Vorbeugung von Diabetes eingesetzt werden.
Game Changer und Fedmeterapi
Experten sind sich einig: Schlankheitsspritzen mit Semaglutid sind ein echter Durchbruch in der Behandlung von Fettleibigkeit. Der Leipziger Professor Hilbert ist davon überzeugt, dass sie deutlich hilfreicher sein werden. „Die Menschen wollen gesünder und schlanker werden“, glaubt er. Sie. Auch der Hamburger Arzt Aberle glaubt, dass Gelder eine immer wichtigere Rolle spielen werden. „Und das zu Recht“, sagt er. „Wir hatten noch nie Medikamente, die so wirksam waren wie jetzt.“ Studien haben auch eine positive Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System gezeigt. Und die Entwicklung dieser Wirkstoffklasse steht erst am Anfang, sagt der Münchner Forscher Helmholtz Müller. Die Pharmaindustrie arbeite bereits mit Hochdruck an weiteren Maßnahmen: „Es wird immer weitere Verbesserungen geben.“